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Moderne Pflege alter Obsthochstämme

Moderne Pflege alter Obsthochstämme Titelseite

Seit einigen Jahren erfährt die Pflege alter Obsthochstämme eine neue Bedeutung. Aus ökologischen und landschaftsprägenden Gründen sollen die alten Obstwiesen mit ihren Baumveteranen möglichst lange erhalten bleiben. Die Erhaltung des Baumes an sich wird zum Pflegeziel, die Obstbaumpflege damit ein Teilgebiet der allgemeinen Baumpflege. In einem von PLENUM Allgäu-Oberschwaben geförderten Projekt erarbeitet das Kompetenzzentrum für Obstbau Bodensee (KOB) Standards zur fachgerechten Pflege alter Obsthochstämme, angelehnt an die Regeln und Begriffe der modernen Baumpflege.

2012, 6 Seiten

Obstbaumpflege + allgemeine Baumpflege = moderne Obstbaumpflege!!!

Anders als in der allgemeinen Baumpflege hat man es in der Obstbaumpflege mit auf Obstertrag gezüchteten Kulturpflanzen zu tun. Die so auf die Bäume einwirkenden Fruchtlasten erfordern es, ein höheres Augenmerk auf die Statik des Baumes zu legen. Und wenn auch für den großkronigen alten Obsthochstamm zunehmend sein gestalterischer und ökologischer Nutzen an Bedeutung gewinnt, so ist die Nutzung der Früchte immer noch ein bedeutendes Pflegeziel. Dies muss in der Pflegepraxis keinen Widerspruch bedeuten. Auch an alten Bäumen lassen sich – eine eher extensiv ausgerichtete Ertragsnutzung vorausgesetzt - Schnitteingriffe so führen, dass gleichzeitig die Lebenserwartung des Baumes günstig beeinflusst wird. Dagegen kann es passieren, dass bei einer ausgesprochenen ertragsorientierten Nutzung die Baumgesundheit beeinträchtig werden muss, z. B. wenn an länger ungepflegten Altbäumen mit entsprechend ungünstigem Kronenaufbau eine Kronenumstellung hin zu einer intensiveren Ertragskrone vorgenommen wird.

Baumansprache: Stabilität, Vitalität, Nutzbarkeit

Welche Schnittmethode angewandt wird und auch wie stark eingegriffen wird ist abhängig von der Stabilität des Baumes, von seiner Vitalität und von seiner Nutzbarkeit.
Stark verminderte Stabilität ist die Ursache für den Verlust zahlreicher Altbäume. Wenn Starkäste (z.B. Leitäste) abreißen oder ganze Kronenteile ausbrechen schädigt dies den Baum erheblich. Bruch- bzw. abrissgefährdet sind statisch ungünstig gebaute Äste (z. B. stark gekrümmte Äste, weit ausladende Äste oder Äste mit problematischem Astansatz). Nachlassende Vitalität zeigt sich an verschiedenen Symptomen. Die für den Praktiker wichtigste ist das Verhältnis von Lang-zu Kurztrieben. An alten oder ungepflegten Bäumen werden nur noch Fruchttriebe gebildet. Man spricht vom vergreisten Baum. Eine eingeschränkte Nutzbarkeit z.B. stark verdichteter oder überbauter Kronen hat hingegen keinen direkten Einfluss auf die Lebensdauer des Baumes. Durch die Bildung starker Konkurrenzäste im oberen Kronenbereich (Überbauung), wandert die Ertragszone zunehmend nach oben und außen und der Baum ist aufwändiger zu bewirtschaften. Dies hat auf Dauer auch eine ungünstigere Statik zur Folge.

Der bruchgefährdete Baum

Kronen werden eingekürzt, wenn ihre Stabilität erheblich beeinträchtigt ist, also die Gefahr eines kurzfristig eintretenden Schadens durch Brechen oder Abreißen starker Äste besteht.

Schnittmaßnahme "Kronenentlastung"

Der statisch kritische Bereich wird durch eine Kroneneinkürzung entlastet. Die Langtriebe werden ausgelichtet, der Gerüstast dabei eingekürzt. Die anderen Gerüstachsen müssen deutlich weniger entlastet werden. Alle weiteren Bereiche des Baumes, z.B. die Stammverlängerung oder das Fruchtholz bleiben mehr oder weniger unbearbeitet. Eine zu geringe Entlastung könnte dazu führen, dass der Ast abreißt und trotz der vorausgegangenen Pflege dauerhaft stark geschädigt wird. Wird die Krone stark eingekürzt, sind Astentnahmen auch im Starkastbereich notwendig (Äste über 10 cm Durchmesser) mit der Gefahr zukünftiger Schäden durch Fäulnis. Eine Kroneneinkürzung konzentriert sich gezielt auf die instabilen Bereiche, ohne zunächst auf die Verjüngung der Gesamtkorne zu achten.

Baumzustand (siehe Bild Ist-Zustand)

Am drehwüchsigen Stamm setzt links unten ein weit ausladender Gerüstast an, der im äußeren Drittel eine dichte Anhäufung vitaler Langtriebe zeigt. Das hier sich bildende Fruchtgewicht kann in Verbindung mit dem kritischen Astansatz (drehwüchsiger Stamm mit Stammrissen) und der weiten Ausladung kurzfristig dazu führen, dass der Ast abreißt und den Baum erheblich schädigt. Diese Gefahr wird im Laufe der Vegetation durch Blattmasse und Fruchtgewicht zunehmend verstärkt.

Apfelbaum mit erheblich beeinträchtigter Stabilität vor dem Schnitt.

Ist-Zustand

Der Baum nach einer mittelstarken Kroneneinkürzung (ca. 15% Kronenreduktion).

15% Kronenreduktion

Der Baum nach einer Kroneneinkürzung von hoher Intensität (ca. 20% Kronenreduktion).

20% Kronenreduktion

Der vergreiste Baum

Der Erneuerungsschnitt soll das physiologische Gleichgewicht des Baumes wiederherstellen (erneuern).

Schnittmaßnahme "Kronerneuerungsschnitt" (Verjüngungsschnitt)

Der Erneuerungsschnitt beinhaltet den Fruchtholzschnitt und die Verjüngung des Kronengerüsts, also eine Reduzierung der Kronenausdehnung. Das Auslichten des Fruchtholzes konzentriert sich auf die Kronenperipherie und sorgt so für Lichtachsen bis ins Kroneninnere. Das geht Hand in Hand mit der zur Belebung der Gesamtkrone notwendigen Einkürzung der Kronenausdehnung. Kroneneinkürzung und Fruchtholzschnitt führen zu einer Anpassung der Krone an die Wurzelleistung und damit zu einer besseren Versorgung des verbleibenden Holzes. Der Baum kann nun Nährstoffe wieder in Triebwachstum umsetzen und sich verjüngen.
Als Nebeneffekt werden die wegen ihrer Ausladung etwas instabilen Gerüstäste durch die Kroneneinkürzung im Rahmen des Erneuerungsschnittes entlastet. Eine stärkere Einkürzung in Form einer eigenständigen Maßnahme ist zunächst nicht notwendig. Sie werden in weiteren Arbeitsschritten in den Folgejahren aber in Höhe und Ausdehnung weiter begrenzt und stabilisiert.
Die steile Stellung von Leitastverlängerungen ist erwünscht und wird belassen. Sie hilft, eine eventuelle übermäßige Triebbildung des Baumes zu verhindern bzw. schneller zu beruhigen, die durch einen zu starken Eingriff provoziert würde. Junge Langtriebe lassen sich an steilen Achsen leichter unterordnen und zu Fruchtästen formieren. Die steile Hauptachse selbst ist statisch sehr viel günstiger zu beurteilen als flache Gerüstastverlängerungen. Beim Erneuerungsschnitt werden idealerweise vorwiegend die Fein- und Schwachäste in der Peripherie bearbeitet. Er ist dadurch zwar aufwändig, aber durch die geringen Wundgrößen auch sehr baumschonend.

Baumzustand (siehe Bild Ist-Zustand)

Die Vitalität des Baumes ist deutlich beeinträchtigt. Es wird fast nur noch Fruchtholz mit Blütenknospen gebildet. Die so verminderte Bildung von Assimilaten schwächt den gesamten Baum und führt dazu, dass der Baum schneller altert. Die Äste der untersten Gerüstastetage laden weit aus. Die Sichtkontrolle ergab bis auf die weite Ausladung der Äste keine Hinweise auf eine nennenswerte Beeinträchtigung der Stabilität. Die Astanbindung ist gut, auch sind am Stamm in unmittelbarer Nähe der Astansätze keine Schäden wie Fäule oder Stammrisse erkennbar.
Vergreister Apfelbaum vor dem Erneuerungsschnitt.

Ist-Zustand

Derselbe Baum nach einem Erneuerungsschnitt mittlerer Intensität (ca. 30-35% entnommene Holzmasse).

30-35% entnommene Holzmasse

Der Baum nach einem Erneuerungsschnitt hoher Intensität (ca. 45% entnommene Holzmasse).

45% entnommene Holzmasse

Der schlecht nutzbare Baum

Mit einer Kronenumstellung wird versucht, am Altbaum eine intensiv zu nutzende Krone zu formieren.

Schnittmaßnahme "Kronenumstellung"

Durch das Entfernen der überbauenden Äste bestimmen die unteren Leitäste wieder das Wachstum. Der Fruchtertrag ist jetzt rationeller zu nutzen. Ein Eingriff, der wie hier, zu größeren Wunden führt, kann den Baum schädigen und ist nur dann zu vertreten, wenn der Wert des Einzelbaumes aus wirtschaftlichen Überlegungen zurücktritt. Aus Gründen der Baumerhaltung und einer nur extensiven Nutzung des Obstes wäre dieser Eingriff daher nicht zu vertreten.

Baumzustand (siehe Bild Ist-Zustand)

Im oberen Kronenbereich haben sich einige starke Äste gebildet, die die darunterliegenden Leitäste überbauen. Gleichzeitig ist der Kronenmantel so stark verdichtet, dass kaum mehr Licht ins Kroneninnere dringt. Die produktiven Bereiche haben sich vor allem nach oben verlagert. Die darunter liegenden ursprünglichen Leitäste werden schlechter mit Nährstoffen und Licht versorgt und nach außen gedrängt, das Kroneninnere verkahlt. Diese Entwicklungen erschweren eine rationelle Pflege und Ernte (auch die Mostobsternte) in geringer Höhe, die hier aus wirtschaftlichen Gründen angestrebt wird.
Vor einer Kronenumstellung.

Ist-Zustand

Nach einer mittleren Kronenumstellung.

mittlere Kronenumstellung

Der Baum nach einer starken Kronenumstellung.

starke Kronenumstellung