Rebschutz
Ungewöhnliche Kristallbildungen bei der Grünen Rebzikade Empoasca vitis

Freipräparierter weißlicher Darm mit Verdickung, darin eckige Strukturen

Im Rahmen der Artbestimmung der in der Rebfläche auftretenden Zikadenarten wurden ungewöhnliche Kristallbildungen im Hinterleib der Grünen Rebzikade Empoasca vitis (auch: Hebata vitis) festgestellt. Um das Auftreten und die Funktion der Kristallbildung im Darmtrakt der Rebzikade näher zu untersuchen, wurden 2002 und 2003, in den Monaten Juli – Oktober 2002 und Mai – Dezember 2003 Klopfproben durchgeführt.

Methodik

Die Rebzikaden wurden entsprechend ihres Lebenszyklus an Reben (Vegetationsperiode) oder an immergrünen Gehölzen (Überwinterungsphase) geklopft. Die gefangenen Rebzikaden wurden mit CO2 oder durch Tiefgefrieren getötet. Unter dem Binokular wurden Hinterleibspräparationen durchgeführt und, soweit vorhanden, die Anzahl der Kristalle bestimmt.

Ergebnis

Im Jahr 2002 wurden von der 29.–42. Kalenderwoche, in dem außergewöhnlich warmen und niederschlagsarmen Jahr 2003 schon von der 21.–34. Kalenderwoche Calciumtartrat-Kristalle im Mitteldarm der untersuchten Rebzikaden gefunden. Sobald die Rebzikaden zur Überwinterung die Weinberge verlassen hatten, waren weder Calciumtartrat-Kristalle noch Weinsäure im Darmtrakt der Rebzikade nachweisbar, wie weitere Untersuchungen in Zusammenarbeit mit dem Zoologischen Institut, dem Lebensmittelchemischen Institut und dem Institut für Anorganische Chemie der Universität Würzburg ergaben.
Grafik mit drei Säulenreihen von Männchen, Weibchen und Nymphen und Anteil mit KristallenZoombild vorhanden

Anteil Zikaden mit Kristallen

Detaillierte phänologische als auch chemisch-physikalische Analysen haben gezeigt, dass die Calciumtartrat-Bildung der Rebzikade parallel zur Wein­säure­konzentration in den Blättern verläuft: Erst einige Wochen nach Einflug in die Rebflächen, wenn die Wein­säure­konzentration in den Blättern zu steigen beginnt (Kliewer 1966), treten Kristalle im Mitteldarm der Nymphen und Adulttiere auf (Böll et al. 2005).
Mit weiter zunehmenden Wein­säure­konzentrationen in den Blättern nimmt sowohl der Prozentsatz der Rebzikaden mit Kristallen als auch die Anzahl der Kristalle pro Rebzikade zu, die bis zu 150 Kristalle pro Tier betragen kann (Böll et al. 2005).
Mit Beginn der Blattseneszenz, wenn die Wein­säure­konzentrationen abnehmen, geht auch der Prozentsatz der Zikaden deutlich zurück, die Kristalle aufweisen.
Nach dem Verlassen der Weinberge und während der Überwinterung treten keine Kristalle auf. Da auch keine gelöste Weinsäure in überwinternden Tieren gefunden wird, dient das Calciumtartrat nicht, wie anfänglich vermutet, als Gefrierpunkt erniedrigendes „Frostschutzmittel“, sondern wahrscheinlich in erster Linie dazu, größere Mengen an Weinsäure im aufgenommenen Pflanzensaft osmotisch zu inaktivieren (Böll et al. 2005), was besonders für die flugunfähigen Zikadenlarven von Bedeutung ist:
Dieser bisher unbekannte und einzigartige Vorgang erlaubt es den Rebzikaden, die Rebe nachhaltig als Wirtspflanze zu nutzen.
Größe der Calciumtartrat-Kristalle im Hinterleib der Grünen Rebzikade
Analysierte Kristalle
/ Rebzikade
Kristalllänge [µm]
Mittel + SD
Kristallbreite [µm]
Mittel + SD
8186 ± 14472 ± 34
14163 ± 4083 ± 24
11155 ± 6971 ± 24
12188 ± 8174 ± 27
18185 ± 10068 ± 45
37114 ± 7456 ± 33
Größen-Spannbreite50 – 563 [µm]25 – 225 [µm]
Der Hinterleib der
Grünen Rebzikade ist


1168 ±158 µm lang

und 568 ± 62 µm breit
Collage aus Bild von Zikade mit Kristall und beschrifteter freigelgter Darm mit Kristallen

Kristalle im Zikadendarm

Foto mit Maßstab eines Kristalls, daneben chemische Formel des Calciumtartrats

Calciumtartrat

Je mehr Zikaden Kristalle im Darm haben, desto höher die Anzahl der Kristalle pro Tier

Häufigkeit der Kristalle

Grafik mit Zusammenhang des Tartratgehaltes in Zikaden zum Gehalt im Blatt mit R2 gleich 0,76

Tartrat in Blatt und Tier

hellblaue Fläche in Grafik  zeigt monatliche Niederschläge, Säulen Anteil Rebzikaden mit Kristallen

Tartrat und Regen

Fazit

Ökophysiologische Untersuchungen haben gezeigt, dass die Grünen Rebzikaden während der Vegetationsperiode parallel zum Anstieg der Weinsäure in den Rebblättern zunehmend Weinsteinkristalle im Darmtrakt akkumulieren, ein bei Insekten bisher einmaliges, unbekanntes Phänomen. Dieser Mechanismus ist wahrscheinlich maßgeblich dafür verantwortlich, dass, insbesondere die flugunfähigen Zikadenlarven, durch Neutralisation der Weinsäure die Rebe nachhaltig als Wirtspflanze nutzen können.

  • Böll, S.; Schmitt, T.; Burschka, C.; Schreier, P.; Schwappach, P.; Herrmann, J.V. (2005) Calcium Tartrate crystals in the midgut of the grape leafhopper, Journal of Chemical Ecology 31, 12, 2847 - 2856